Das Museum als Andersort
Das Museum als Andersort
Rückblick Netzwerktreffen #40
23.09.2024 - Aktuell
«Andersorte sind Lokalitäten, die in einer Gesellschaft vorkommen, aber etwas ausserhalb der gesellschaftlichen Realität funktionieren», zitierte Sibylle Zambon den französischen Philosophen Michel Foucault während ihres Fachinputs im Rahmen des 40. kklick-Netzwerktreffen Mitte September im Saurer Museum in Arbon.
«Museen sind Andersorte, denn sie überwinden für die Besucher und Besucherinnen Zeit und Raum», versprach die Geschäftsführerin der Interessengemeinschaft der Museen im Kanton Thurgau, MUSE.TG, den rund 55 Kulturverantwortlichen und -vermittler:innen. Gerade Ortsmuseen seien für den Besuch mit einer Klasse ideal, denn die Schülerinnen und Schüler hätten einen direkten Bezug zu ihrer Umgebung und gleich auch einen vertrauten Kontext, um das neue Wissen einzuordnen. Davon konnten sich die Teilnehmenden an den drei Workshops zum Thema «Museen: Ausserschulische Lernorte» gleich selbst überzeugen.
Doch der Reihe nach: Vor den Workshops begrüsste der Präsident des Saurer Museums Armin Kneubühler seine heutigen Gäste und berichtete davon, wie er und seine Mitarbeiter:innen die Schülerinnen und Schüler für Webmaschinen und Oldtimer begeistert: «Spätestens, wenn die Kleinen auf dem Führersitz eines alten Saurerlastwagens sitzen können, haben wir sie. Und die Teenies kriegen wir, sobald wir sie darauf hinweisen, was für ein toller Instagramhintergrund ein altes Postauto ist.» Nur ein Problem gäbe es am Saurermuseum: «Wenn ihr nach Hause geht, stinkt ihr!». Der original «Chlötzlibode» schluckte über Jahrzehnte hinweg das verschüttete Maschinenöl und gibt bis heute seinen Duft an Kleider und Haare ab. Aber auch das gehört zu einem guten Muesumsbesuch: das Eintauchen mit allen Sinnen.
Die Wichtigkeit der Kultur im Unterricht und des Dranbleibens auf Seite der Lehrpersonen betonte auch Regina Hiller, Präsidentin der Primarschulgemeinde Arbon, in ihren Grussworten, bevor die Workshops losgingen.
Thomas Fuchs, Kurator des Museums Herisau, empfing die Teilnehmer:innen in einem alten Saurer Postauto und gab einen geschichtlichen Abriss zum Thema «Tourismus im Appenzellerland», welcher 1749 mit einer Wunderheilung begann: Ein reicher Stadtzürcher genoss wegen seiner Lungenerkrankung eine Molkenkur und siehe da, ein paar Tage später gelang ihm wieder die Besteigung des Gäbris. So etablierte sich schnell eine erste Form von Reha im Appenzellerland, mit Fokus auf sportliche Ertüchtigung, frühem Aufstehen und bis zu neun Gläsern Molke pro Tag. Dies führte zu einem regelrechten Boom der Molkekur weit über die Appenzellergrenzen aus, sodass sogar die Stadt Berlin zehn Schweizer Kühe kaufte, um auch dort original Schweizer Molke anbieten zu können. Das Appenzellerland verteidigte seine Molke aber vehement gegen die Nachmacher. Solche Anekdoten lassen den Museumsbesuch lebendig werden.
Im zweiten Workshop schauten Urs Schärli und Helen Prates de Matos vom Ortsmuseum Flawil nicht nur in die Vergangenheit, sondern knüpften auch den Bogen in die Gegenwart. Zweihundert Jahre lang war Flawil bekannt für seine Fuhrunternehmen. Bis zur Einführung der Eisenbahnstrecke «Flawil – Winterthur» im Jahre 1855 lebten 30 Flawiler Familien davon, mit ihren Rosskutschen Güter wie Wein, Arzneien, Textilwaren und Geldkassetten von Flawil nach Lyon, Nyon, Morges und sogar bis nach Frankfurt zu liefern. Je nach Wetter dauerte eine einzelne Fahrt nach Frankfurt bis zu 12 Tage und passierte dabei verschiedenste Herzogtümer und Königreiche.
Die Teilnehmenden konnten sich dabei noch selbst eine Reise mit einem 168 Jahre alten Bahnfahrplan von St.Gallen nach Zürich zusammenstellen. Fazit: Reisedauer von 5 Stunden und 53 Minuten mit drei Mal umsteigen. Dies bot einen perfekten Einstieg in eine Diskussion, wie es sich heute verhält und welche aktuellen Berufe es in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr geben wird.
Last but not least führte Walter Baumann vom Typorama in die Schwarze Kunst, sprich die Druckkunst, ein. Das Museum für Bleisatz und Buchdruck in Bischofszell ist nicht nur ein einzigartiges Kompetenzzentrum Europas, welches die Schriftsetzerkunst am Leben erhält, sondern bietet Schulen an, im Rahmen von Führungen und Workshops mit den Schülerinnen und Schülern selbst Hand an die rund 10 Setzmaschinen zu legen. Dabei drucken sie eigene Visitenkarten, wobei sie von der Gestaltung über die Suche nach der perfekten Schrift in hunderten von Schriftgarnituren bis zum Druck immer direkt involviert sind. So werden beim Besuch 600 Jahre Bleisatz und Buchdruck greif- und erlebbar.
Mit «Gott grüss die Kunst», dem traditionellen Gruss der Buchdrucker:innen und Schriftsetzer:innen schloss Walter Baumann und mit dem Schlussapéro wurde das Netzwerktreffen wie ein guter Museumsbesuch: feiner Kuchen, erfrischende Getränke, angeregter Austausch – alle Sinne wurden involviert und dank dem «Chlötzliboden» haben garantiert alle etwas mit nach Hause genommen.