Auf ein Wort mit Nicolas Robin
Auf ein Wort mit Nicolas Robin
«Kulturelle Bildung hilft, Vielfalt zu erfassen»
12.08.2025 - Menschen
Seit Februar 2023 leitet Prof. Dr. Nicolas Robin als Prorektor den Bereich Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen. Ausserdem ist er Stiftungsrat des Naturmuseums St.Gallen, im Vorstand der Naturschule St.Gallen und er setzt sich für die Stärkung des ausserschulischen Lernens in der Bildung ein. Im kklick-Interview verrät der Fachdidaktiker und Museologe unter anderem, wie die PHSG zukünfige Pädagog:innen auf Kultur vorbereitet oder auch, was ihm an seiner Tätigkeit Freude macht.
Gibt es ein «kulturelles Initial-Erlebnis», an das Sie sich erinnern können? Falls ja: Wieso?
Die ersten Stunden meiner Ausbildung zum Fachdidaktiker und Museologen der Naturwissenschaften waren ein echtes prägendes Erlebnis für mich. Damals wurde ich mit den Archiven unserer Zivilisationen in besonderen Depots und Sammlungen, wie denjenigen des Louvre oder des Museum national d’Histoire Naturelle konfrontiert, wo ich studieren durfte. Es war eine wunderbare Erfahrung, sich lebendig zu fühlen und die Chance zu haben, sich eine kulturelle Identität so weiter aufzubauen, die aus Staunen, Fragen und natürlich auch Irritationen besteht.
Sie sind an der PHSG für die Ausbildung angehender Lehrpersonen zuständig. Auf welche Weise werden diese neuen Pädagog:innen bereits im Rahmen des Studiums geschult, um im Berufsalltag «Kulturelle Bildung» einfliessen lassen zu können?
Eine Hochschule wie unsere ist eine Institution der Entstehung und Sicherung kulturellen Wissens, so wie es etwa Museen oder Bibliotheken sind. Sie ist gesellschaftlich relevant. Das Studium an der PHSG beginnt für alle Studierenden mit dem Kulturtag. Die weitere Ausbildung wird von Kultur geprägt, sei es durch Lesungen, Theater-, Konzert- oder Ausstellungsbesuche. Auch Vertiefungsstudien, welche Kultur als Fokus haben, und Kooperationsprojekte gehören dazu. Das Institut für Ästhetische und Kulturelle Bildung an der PHSG spielt dabei eine zentrale Rolle. Es fördert mit vielen Initiativen in Lehre sowie in Forschung und Entwicklung den Transfer von Wissen, Erfahrung und Praktiken. Bachelor- und Masterarbeiten können sich mit kulturellen Fragen befassen. Und dies ist noch bei Weitem nicht alles. Zusammengefasst könnte man sagen: Unsere Studierenden lernen, kulturelle Zeichen zu analysieren und kritisch zu betrachten. Darauf können sie ihre Berufspraxis aufbauen und stützen.
Was meinen Sie: Sollten sich Lehrpersonen jeglichen Fachbereichs – sei dies nun Mathematik, Sport oder Geschichte – mit dem Thema Kultur im Schulalltag befassen?
Man muss sich nicht täglich im Unterricht mit Kultur befassen. Darum geht es nicht. Eine Lehrperson muss aber ein Verständnis für die Kulturen der Fächer haben, die sie unterrichtet. Zudem muss sie die fachlichen und überfachlichen Inhalte, die sie vermitteln möchte, in einen Kontext stellen und reflektieren können. In diesem Sinne basieren unsere für die Zukunft geplanten Studiengänge zum Ersten auf dem Erlernen der Kernpraktiken. Zum Zweiten geht es um die Beschäftigung mit dem Berufsethos. Und zum Dritten wird auf eine fundierte und differenzierte Auseinandersetzung mit den Fachkulturen der verschiedenen disziplinären und interdisziplinären Bereiche abgehoben.
Was kann – oder muss – kulturelle Bildung in der Schule leisten?
Kulturelle Bildung soll in der Schule Schüler:innen dabei unterstützen, die kulturelle Vielfalt auf lokaler, nationaler und globaler Ebene wahrzunehmen. Durch die Begegnung mit Kultur sollen sie ihre Kreativität entfalten, eigene Ausdrucksformen entwickeln und ihre kulturelle Identität stärken können.
kklick und die beiden Pädagogischen Hochschulen der Kantone St.Gallen und Thurgau haben gemeinsam den Flyer «12 Argumente – Warum kulturelle Bildung wichtig ist» produziert. Seit wenigen Wochen ist er verfügbar. Was bewirkt dieser Flyer Ihrer Meinung nach im Idealfall?
Alle Formen der Begegnung und Auseinandersetzung mit Fragen, die eng mit der kulturellen Identität jedes Einzelnen verbunden sind, sind meiner Meinung nach sinnvoll, insbesondere im Rahmen des Studiums. Daher muss man die Wirkung solcher begrüssenswerten Initiativen nicht messen, sondern sich bemühen, solche Initiativen immer zu ermöglichen.
Was macht Ihnen an Ihrer aktuellen beruflichen Tätigkeit die meiste Freude und den grössten Kummer?
Was mich wirklich zufriedenstellt, ist die Möglichkeit, neue Denk- und Lernräume zu gestalten, damit die Lehrer:innenausbildung die zentrale Rolle spielen kann, die ihr für die Gestaltung der Schule von morgen zukommt. Was mir Angst macht, ist die utilitaristische Herangehensweise und Sichtweise, die viele, unter anderem unter dem Einfluss wirtschaftlicher Motive, gegenüber der Ausbildung von Lehrer:innen vertreten. Studieren heisst: lernen und scheitern dürfen, sich inspirieren und irritieren lassen. Es ist eine Chance, ganz gleich in welchem Bereich. Das dürfen wir nicht vergessen.
Und zu guter Letzt sind wir natürlich noch neugierig, was Sie uns hierauf zu antworten haben:
- Diese Musik würde ich mit auf eine einsame Insel nehmen: The Oscar Peterson Trio. Und dieses Buch: La Quintinie, Jean de (1692). Instruction pour les jardins fruitiers et potagers. Amsterdam.
- Davon wird mir schwindelig: Politische Strategien.
- Immer wieder lustig: Meine Naivität den Menschen gegenüber und meine Neugier.
- In fünf Jahren möchte ich...: ... weiter die Lehrer:innenausbildung in Frage stellen und mitgestalten können.
- Auf dieses Kulturerlebnis freue ich mich: Alle, die ich nicht geplant habe.
Herr Robin, wir danken herzlich für das Interview.
