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Die Baustelle als Lernort

Die Baustelle als Lernort

Ein Einblick in das KOMET #2-Projekt «Wo ich wohne»

21.05.2021 - Praxis

«Ich hätte nie gedacht, dass eine Baustelle so cool ist!», sagt ein kleiner Junge begeistert zu mir. Zugegeben – es geht mir ähnlich wie ihm! Wir, d.h. die Schüler*innen der 3./4. Klasse von Angela Meier und Irene Caicedo-Ambühl vom Schulhaus Oberwiesen in Frauenfeld, die Kulturvermittlerin Rebekka Ray, der Projektleiter Roger Schär von Lauener Baer Architekten und ich, befinden uns in der Turnhalle des Schulhaus Schollenholz in Frauenfeld, die einer Totalsanierung unterzogen wird. Baugerüste und lange Leitern reichen vom Boden bis zur Decke, deren Trägerkonstruktion blossgelegt ist. Überall liegen Staub und Baumaterialien, Hammerschläge und Maschinengeräusche dröhnen durch die Gänge. Faszinierend, was es auf der Baustelle der Schulanlage aus den 1970er-Jahren alles zu entdecken, zu hören, zu erfahren gibt.

Die Baustellenbesichtigung fand am 26. März 2021 als Abschluss der von Rebekka Ray und Ueli Vogt konzipierten Projektwoche «Wo ich wohne» statt. Das Angebot zur Baukulturvermittlung ging als eines von vier Gewinnerprojekten aus dem Wettbewerb «KOMET» hervor, der 2019 vom Kulturamt Thurgau zum zweiten Mal durchgeführt wurde.

Direkt nach den Sportferien konnte «Wo ich wohne» zum ersten Mal im Schulhaus Hoferberg in Gottshaus mit den 29 Schüler*innen der Primarlehrerinnen Manuela Wenger und Katharina Friedli stattfinden. Wie schon in Gottshaus passten Ray und Vogt ihr modular aufgebautes Vermittlungsangebot auch in Frauenfeld den Bedürfnissen der Partnerschule an. Zusammen mit den Lehrerinnen definierten die Kulturvermittlerin und der heutige Leiter des Museum Zeughaus Teufen als Ziele der Arbeitswoche die interaktive und stufengerechte Vermittlung von Basiswissen zum Thema Baukultur und die Sensibilisierung der Schüler*innen für ihre gebaute Umwelt.

Bereits einen guten Monat vor Projektstart erteilten Rebekka Ray und Ueli Vogt den Schüler*innen verschiedene Aufträge, um sie auf das Thema einzustimmen: Es resultierten unter anderem Pläne des eigenen Zimmers, Fotografien von Häusern im Wohnquartier oder Aufzeichnungen des Schulwegs. Die im Vorfeld erarbeitete Materialsammlung bildete die Ausgangslage für die Projektwoche.

Das Schulareal Oberwiesen selbst diente als nächster Ort der baukulturellen Feldforschung. Von Keller bis Dachstock, vom Detail bis zum grossen Ganzen führte die Forschungsexpedition im eigenen Schulhaus – und wurde schliesslich in einer kleinen Ausstellung in den Schulhausgängen sichtbar gemacht. Am Mittwoch schliesslich betätigten sich die Kinder beim Bau von Raummodellen, Konstruktionen aus Kapla Holzbausteinen und einer Leonardo-da-Vinci-Brücke als Architektinnen, Raumausstatter, Ingenieurinnen und Statiker. Dabei konnten sie ihre Ideen frei umsetzen und ihre Erfahrungen mit Farbe, Materialien, Raum und Konstruktion erweitern. Am vierten Projekttag unternahm die Klasse eine architektonische Zeitreise in der Frauenfelder Innenstadt. Historische Fotos bestimmter Orte wurden den heutigen baulichen Situationen gegenübergestellt, sodass die Schüler*innen eigene Beobachtungen mit Wissenswertem zur Frauenfelder Stadtgeschichte verknüpfen konnten. Einen Höhepunkt stellte die Führung des Architekten und «Gastexperten» Gabriel Müller durch das von ihm restaurierte «Trompetenhäuschen» dar, das zu den ältesten Bauten der Kantonshauptstadt zählt.

Zurück zur Baustelle Schollenholz: Welche Arbeitsschritte nötig sind, bis auf der grünen Wiese ein Gebäude entsteht und welche Berufsgruppen in welchen Projektphasen involviert sind, haben Rebekka Ray und Ueli Vogt mit den Schüler*innen bereits erarbeitet. Allgemein merkt man, dass die Projektwoche «Wo ich wohne» bei den Kindern Spuren hinterlassen hat. Mit Entdeckerfreude und Neugierde hören sie den gut verständlichen Ausführungen von Roger Schär zu, der die Sanierung und Erweiterung des Schulhauses Schollenholz als Projektleiter begleitet. Sie zieren sich nicht, Fragen zu stellen. Und wenden sogar erlernte Fachbegriffe an, als beispielsweise jemand in den unterirdischen Erschliessungszonen unverputztes Mauerwerk entdeckt. Die ganz eigene Atmosphäre der Baustelle als Ort, wo Pläne und Ideen Wirklichkeit werden, wo Fortschritte ablesbar sind und Neues, Schönes, Funktionales entsteht, springt auf die Gruppe über. Wir staunen über das komplexe System von Leitungen und Trasses, die verschiedenfarbige Kabel der Decke entlangführen, erblicken unser Spiegelbild im riesigen runden Oblicht des Eingangsfoyers, durchschreiten die Raumfolge der Klassenzimmer und Gruppenräume und geniessen den Blick aus den Fenstern vom künftigen Team-Zimmer aus. Von der von Rebekka Ray und Ueli Vogt so abwechslungs- und lehrreich gestalteten Abenteuerreise «Wo ich wohne» werden die 3./4. Klässler*innen sicher nachhaltig profitieren – und ihrer gebauten Umwelt künftig mit neuen Augen begegnen.

Text und Fotos: Stefanie Kasper, Geschäftsführung kklick TG