kklick

KOMET-Projekt: Nach Hause fliehen

Foto: Nathalie Guinand

Foto: Nathalie Guinand

Foto: Nathalie Guinand

Foto: Nathalie Guinand

Foto: Nathalie Guinand

Foto: Nathalie Guinand

Foto: Nathalie Guinand

KOMET-Projekt: Nach Hause fliehen

02.11.2018 - Praxis

Mit dem Projekt soll das Thema des Fliehens und des Migrierens thematisiert werden. Diesen Themenkomplex zu bearbeiten ist nicht möglich, ohne den Aspekt des Sich-zu-Hause-Fühlens mit in die Reflexion einzubeziehen. Wir wollten untersuchen, was es für jeden von uns bedeutet, ein Zuhause zu haben. Erst unter dieser Prämisse würden wir verstehen können, was es bedeutet, dieses zu verlassen, resp. dieses verlassen zu müssen.

Nachdem wir an einer Primarschule in Zollikofen, BE, und an zwei Integrationsklassen der Kantonalen Schule für Berufsbildung in Aarau, AG, die ersten Erfahrungen mit Hörkunst-Projekten in einem schulischen Kontext gesammelt hatten, konzipierten wir ein Hörkunst-Projekt zum Themenbereich „Flucht-Fliehen - Sich zu Hause fühlen“. Dieses Konzept reichten wir im Rahmen des vom Kanton Thurgau neu geschaffenen Wettbewerbs KOMET ein. Mit diesem Wettbewerb werden innovative Kulturvermittlungsprojekte für Schulklassen gesucht. Das Projekt «Nach Hause fliehen» wurde schliesslich zur Realisierung ausgewählt.

Wo wir im ersten Konzeptentwurf von fünf, später dann von drei beteiligten Schulklassen ausgingen, fanden wir mit Hilfe des Kulturamts Thurgau schliesslich zwei Schulklassen; je eine Primarschul- und eine Oberstufenklasse, beide in Weinfelden. Es erwies sich als zu schwierig, die Schülerinnen und Schüler der beiden Klassen miteinander arbeiten zu lassen. Gründe dafür waren der doch sehr grosse Altersunterschied, aber auch die geographische Lage der beiden Schulen und die unterschiedlichen Stundenpläne. Beide Klassen arbeiteten jedoch zum gleichen Thema und setzten sich mit denselben Fragen auseinander. Dies ermöglichte ein Verdichten aller entstandenen Beiträge und Fragmente zu einem einzigen Hörstück.

Die finale Hörinstallation wurde den rund 120 Gästen im Untergeschoss des Thurgauer Kunstmuseums in der Kartause Ittingen präsentiert.

Teilnehmende Klassen:
4. Primarschulklasse des Paul-Reinhart-Schulzentrums Weinfelden, Lehrperson Susanne Wanner.
Klassenprofil: 20 Kinder im Alter von 9 Jahren, rund die Hälfte von ihnen stammen aus einem zwei- oder mehrsprachigen Elternhaus.

Klasse Real G, Sekundarschulhaus Th.-Bornhauser, Weinfelden, Lehrperson Manuel Kupper.
Klassenprofil: G Klasse, 19 Jugendliche, 10 Jungen, 9 Mädchen mit mehr oder weniger ausgeprägten Lerndefiziten.

Drei der Kinder haben Eltern ohne Migrationsbiographie. Bei der anderen Gruppe leben je 50% der Kinder in zweiter Generation in der Schweiz, respektive sind in die Schweiz eingewandert. Die Jugendlichen absolvierten während der Projektzeit die letzten Wochen ihres letzten Schuljahres.

Sparte / Bereich:
Musik, Film & Multimedia, Literatur

Projektbeschreibung:
Das Thema war nicht einfach und entfachte, gerade bei den älteren Kindern, zum Teil heftige Diskussionen. Einen nachhaltigen Eindruck bei den Kindern und Jugendlichen hinterliessen die Besuche von zwei jugendlichen Asylbewerbern in den Klassen, je ein junger Mann aus Afghanistan und ein Mann aus Syrien, die aus ihrem Leben und von ihren Erlebnissen berichteten. Die beiden jungen Männer beantworteten auch Fragen der Schülerinnen und Schüler.

Es war eine glückliche Fügung, dass wir anlässlich eines Netzwerktreffens Kulturverantwortliche Thurgau von kklick in Konstanz Brigitt Näpflin kennenlernten. Sie ist verantwortlich für Vermittlung im Kunstmuseum Thurgau und stiess uns in der Folge die Türen zum Museum auf und blieb während der ganzen Projektzeit unsere Ansprechperson. Markus Landert, Direktor des Museums, gewährte uns Gastrecht und unterstützte uns bei der Abschlusspräsentation und beim abschliessenden Apéro. Cornelia Mechler, die Leiterin Verwaltung, Marketing, PR, sorgte ihrerseits dafür, dass unser Anlass in Agenden und Newslettern des Museums aufgeführt wurde.

Planbarkeit bei Kulturvermittlungsprojekten ist nur beschränkt möglich. Ein Kunstvermittlungsprojekt soll auch ein Prozess mit offenem Ausgang sein! Bei Projektstart sind jeweils viele Parameter noch unbekannt. Folgende Fragen spielen dabei eine zentrale Rolle: Was sind die brennenden Themen in einer Klasse? Wie spielt die Dynamik aller Beteiligten untereinander; der Kinder, Kunstschaffenden, Lehrpersonen, Schuldirektion, der Verantwortlichen, die das Endprodukt in ihrem Haus beherbergen? Was sind die Stärken und Schwächen der Kinder? Wie gross ist ihr Vorwissen? Was sind ihre individuellen Präferenzen und Interessen? Wie wird sich die Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen entwickeln? Wie stark ist ein Klassenprojekt in die gesamte Schule eingebettet? Wird es von den anderen Lehrpersonen und ihren Klassen wahrgenommen? Werden sie in der einen oder anderen Form in das Geschehen einbezogen? Bekommen sie das Endprodukt zu sehen/ hören? Interessieren sie sich dafür?

Projektumfang / Dauer:
Das Projekt konnten wir mit kleinen Abweichungen wie geplant umsetzen. Wir starteten Mitte Mai 2018. Ende Juni folgte eine Intensivwoche mit der Primarschulklasse, im Juli dann eine Intensivwoche mit den Oberstufenschülerinnen und -schülern. Erst danach machte sich Diana Rojas gemeinsam mit Michael Sauter daran, die vielen Fragmente zu einer Hör- und Soundcollage zusammenzubauen. 

Ziele:
Es ist schwer verifizierbar, inwieweit die künstlerischen- und Lernziele erreicht worden sind. Alle am Projekt Beteiligten wurden mittels Fragebogen befragt. Die Antworten der Kinder zeigen, dass jedes von ihnen etwas anderes mitnimmt. Die einen erwähnen vor allem die menschliche Dimension bei den Treffen mit den geflüchteten Menschen, die anderen waren fasziniert von den technischen Aspekten bei den Aufnahmen, viele erwähnen insbesondere das Durchführen von Interviews als tolle Erfahrung. Auch in diesem Projekt gab es Kinder und Jugendliche, die sich nicht begeistern liessen oder das Projekt langweilig fanden. Was in jedem Fall erreicht wurde, ist, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema angestossen wurde, und zwar auch mit und bei jenen Kindern und Jugendlichen, die sich verweigerten. Diese Auseinandersetzung wurde über einen kreativen Prozess in Texte, Töne und Lieder umgewandelt, die schliesslich mit Hilfe der Kunstschaffenden in einer Sound-Collage verdichtet wurden.

Das Projekt wurde auch in die Familien getragen. Die meisten der Kinder der 4. Klasse führten zu Hause Interviews durch. Aus Gesprächen mit Eltern beim Abschlussanlass erfuhren wir, dass Kinder Fragen oder Erlebnisse zu Hause diskutierten, die sich um das Zuhause-Fühlen drehten, um Migration und Flucht oder um das Erlebnis des Treffens mit den jungen Flüchtlingen und weiteren Themen. Von einer Mutter, sie stammt ursprünglich aus Südosteuropa, erhielten wir ein Feedback beim Apéro nach der Schlusspräsentation. Sie war erschüttert. Sie meinte: "Das ist unser Leben, genauso ist es." Eine andere Mutter erzählte, wie sich ihr Sohn immer wieder mit Fragen, die sich aus dem Projekt ergeben haben, an sie gewandt habe.

Budget und Finanzierung:
Der Kanton Thurgau stattete das Projekt im Rahmen des Wettbewerbs KOMET mit einer Anschubfinanzierung in der Höhe von CHF 20‘000.00 aus, weiter wurde es mit CHF 10‘000.00 von der Stiftung für Radio und Kultur Schweiz SRKS unterstützt. CHF 5‘000.00 erhielt das Projekt von einer privaten Stiftung, der Restbetrag wurde in Form von Eigenleistungen der Schule, durch artlink und des Teams gedeckt.

Projektleitung / Kontaktperson:
Diana Rojas-Feile
Markus Baumann, artlink, Büro für Kulturkooperation

Schulen:
Primarschule Paul-Reinhard-Schulzentrum, Weinfelden, Klassenlehrerin Susanne Wanner
Sekundarschulhaus Th.-Bornhauser, Weinfelden, Klassenlehrer Manuel Kupper

Zusammenarbeit mit folgenden Kunstschaffenden / Institutionen:
Projektleitung / Regie: Diana Rojas-Feile
Musik, Komposition: Michael Sauter
Textentwicklung: Donat Blum
Foto: Nathalie Guinand
Produktion: Markus Baumann, artlink, Büro für Kulturkooperation
Schlusspräsentation: Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen

Dokumentation / Links:
Brigitte Elsner-Heller: Flucht ohne Zuflucht, www.thurgaukultur.ch (darin ein weiterer Link zu der 60-minütigen Fassung der Hör-Sound-Collage.