kklick

Von der Sucht nach mehr Followern: ein interaktives Figurentheater entsteht

Von der Sucht nach mehr Followern: ein interaktives Figurentheater entsteht

13.03.2023 - Praxis

«@alice.snow.white (oder Der letzte Follower)» ist die zweite Produktion des FigurenTheater St.Gallen, die sich explizit an Jugendliche richtet. Für die Entwicklung und Umsetzung des Stücks hat sich das Ensemble rund um Oliver Kühn (Theater Jetzt) mit drei Sekundarschulklassen ausgetauscht. Konkret wollte es wissen, wie die Schüler:innen ihre Smartphones und die sozialen Medien nutzen. Denn genau darum geht es im Stück: den Sog von Social Media, die Sucht nach mehr Followern, den Drang «geliked» zu werden. Und es geht vor allem auch um den Wunsch, der hinter all dem steckt: geliebt zu werden.

In «@alice.snow.white (oder Der letzte Follower)» postet die junge Alice regelmässig Videos auf Instagram. Um mehr Follower zu bekommen – am liebsten alle der Welt – geht sie einen Pakt ein mit den leibhaftigen Nutzungsbedingungen und ihren zwielichtigen Komplizen Algo und Rhythmus. Was folgt, ist ein abgekartetes Spiel um Macht, Eitelkeit und die Frage: Wer hält hier eigentlich die (Marionetten-)Fäden in der Hand? 

Apropos Hand: Die Mobiltelefone der jungen Zuschauer:innen müssen für einmal nicht in der Hosen- oder Jackentasche verschwinden während der Vorstellung. Im Gegenteil: Ein Teil des Stückes verfolgt das Publikum auf dem Handy und wird so Teil der Follower-Community, die für Alice aufgebaut werden soll.

Ob und wie diese Interaktion funktioniert, testet das Ensemble bei den Proben mit einer Schulklasse. Ruck zuck haben die Schüler:innen das Handy gezückt, de App geöffnet und folgen Alice nun auf Instagram. Diese freut sich auf der Bühne über jeden neuen Follower. Die Realität verschmilzt mit dem Theatererlebnis. Genauso wie die exzessive Nutzung von Social Media zu einer Verschiebung der Realitäten führen kann. Und zu Entfremdung. Der Übeltäter: der Algorithmus. Dieser manipuliert die eigene Realität und kreiert eine neue. Der Verlust des eigenen Identitätsgefühls ist ein hoher Preis, den nicht nur Alice zahlen muss.

Die Interviews und Gespräche hierüber mit den Schulklassen zu Beginn der Theaterarbeit waren für Oliver Kühn essentiell. Er suchte dabei sowohl Informationen und Inspiration, wollte vor allem aber nahe an die Generation herankommen, für die das Stück konzipiert ist. Wie schätzen die Jugendlichen Vorteile und Risiken ihres User-Verhaltens ein?

Danach hat sich das Ensemble auf die Suche nach dem theatralen Aspekt von Social Media gemacht. Und hat ihn vor allem im Streben nach immer mehr «Likes», nach damit verbundener Anerkennung und dem Gefühl geliebt zu werden, gefunden. Moralische Aspekte zu vermitteln, darum geht es dem Theatermacher nicht: «Die Jungen wissen es eh besser als wir». Und doch sind Wissen und Erleben zwei paar Schuhe, sagt er und betont die Macht der Manipulation, über die jeder Algorithmus verfügt. Und die Nutzer:innen von Social Media zumeist bedenkenlos hinnehmen.

Ebenso, wie es Alice tut. Die Nutzungsbedingungen, Algo und Rhythmus dürfen mit ihr machen, was sie wollen. Unter der Bedingung, dass sie jede:n Follower der Welt bekommt. Dass das nicht gut gehen kann, liegt auf der Hand. Was ihr am Ende aber bleibt, das sei hier nicht verraten.

Zum Schluss der Probe sucht Oliver Kühn nochmals das Gespräch mit den 15-jährigen Schüler:innen. Es zeigt sich, dass alle die sozialen Medien nutzen, ebenso wie die Mehrheit betont, dass ihre Eltern nur bedingt eine Ahnung davon haben, und nicht wissen, was ihre Kinder posten. Die Klassenlehrerin fragt schliesslich die Jugendlichen, ob sie die Botschaft verstanden haben. Es ist einen Moment still im Raum. «Man soll sein Leben nicht für Social Media aufgeben», heisst es dann aus der mittleren Reihe. Alle nicken. Bis zur Premiere probt das Ensemble nun unter sich weiter. Immer mit im Gepäck: die Stimmen und Erlebnisse der Jugendlichen, welche mit dieser Inszenierung unmittelbar in ihrer Welt und ihrem Erleben abgeholt werden. Zweifelsohne auch deswegen, weil sie danach gefragt wurden.

Hier geht’s zu «@alice.snow.white (oder Der letzte Follower)» auf kklick.ch. Schulvorstellungen am Mi, 29.3.2023 / Do, 30.3.2023 / Mo, 3.4.2023, jeweils um 10.00 Uhr im FigurenTheater St.Gallen.

«@alice.snow.white (oder Der letzte Follower)» gibt es auch als mobiles Angebot für Vorstellungen im Schulhaus.