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Scheinwerfer auf die zehnten Schultheatertage Ostschweiz: 3. Akt

Scheinwerfer auf die zehnten Schultheatertage Ostschweiz: 3. Akt

03.06.2024 - Aktuell

3. Akt, Szene 1: Von der Stärke einer Gruppe
Weinfelden, 5. Mai 2024. Während im Vorraum des Theater Bilitz Gelächter und Stimmen das Foyer füllen, herrscht im Theatersaal eine konzentrierte und zugleich entspannte Stimmung, von Nervosität ist nichts zu spüren. Die Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse von Stefan Ryffel aus Amriswil scheinen ihrem Auftritt gelassen entgegenzublicken. Die Hauptprobe am Vorabend sei gut gelaufen, sagt Stefan Ryffel, die Klasse sei parat, auch wenn es vielleicht nicht perfekt laufen werde. Dass diese Aussage kurz darauf unerwartet auf die Probe gestellt werden würde, wusste zu diesem Zeitpunkt weder der Lehrer noch seine Schüler:innen.

Zuerst aber ein Warmup, angeleitet von Petra Cambrosio: «Bis nach dort oben müsst ihr reden», sagt sie und zeigt zu den hintersten Rängen der Tribüne. Anschliessend erklärt sie den Ablauf, bevor jeder Schüler und jede Schülerin sich ein süsses Toi Toi Toi aus einem Topf greifen darf. Sich Glück wünschen, über die Schulter spucken, «Du schaffsch das!».

Über mehrere Wochen haben die 5. Klässler:innen an ihrem Stück gearbeitet, mit dem vorgegebenen Thema «abundauf» im Fokus und Leitern als Requisiten oder Bühnenbildelemente nachzulesen hier. Ebendiese stehen denn auch zahlreich verteilt auf der ansonsten leeren Bühne. Es ist das erste Stück, welches an diesem Tag aufgeführt wird, weitere drei Klassen haben ihren Auftritt noch vor sich und bilden bis dahin das gespannte Publikum, ganz nach dem Motto der Schultheatertage Ostschweiz «Wer spielt schaut zu. Wer zuschaut spielt». Auch das Publikum wärmt sich noch mit verschiedenen Übungen auf, wird an eine respektvolle und achtsame Art des Feedbacks für die Gesprächsrunde im Anschluss erinnert, dann ertönt ein Gongschlag und es wird dunkel im Saal. «Ein aufregender Orientierungslauf» beginnt.

Ein Potpourri von Ideen, welche bereits früh im Probeprozess entstanden sind – nachzulesen hier –, spinnt sich zu einer Geschichte, bei der verschiedene Gruppen einer Schulklasse während des Orientierungslaufes in unterschiedliche, fantastische Welten gelangen. Die Leitern sind Portale und Übergänge, es wird im Chor gesprochen, gesungen, getanzt; Elemente des Bodypercussion kommen zum Einsatz ebenso wie der Wechsel von Gruppenbildern und Solo-Momenten… Die Klasse zieht alle Register und die Begleitung durch Theaterpädagogin Irène Trochsler ist sicht- und spürbar. Sichtbar und vor allem überraschend gut hörbar sind auch diejenigen Schüler:innen, welche beim Probebesuch noch nicht so recht mitmachen wollten. Alle Schüchternheit scheint in der Zwischenzeit abgelegt worden zu sein, die Klasse meistert den Auftritt als Gruppe gemeinsam, niemand ist mehr im Mittelpunkt als andere.

Wie wichtig dieser Zusammenhalt ist, zeigt sich während ihrer Darbietung: Eine Gruppe tritt ins Scheinwerferlicht, obwohl «ihre» Szene erst später drankommen würde, die Szenenreihenfolge gerät durcheinander. Blitzschnell müssen die anderen Spielenden hinter der Bühne gemeinsam entscheiden, wie sie damit umgehen und das, ohne laut kommunizieren zu können. Spontan entscheidet sich die Klasse, die Reihenfolge anzupassen und die «vergessene» Szene später noch einzubauen. Diesen Wechsel im Ablauf hat sowohl Irène Trochsler wie auch Stefan Ryffel überrascht, letzterer wirkte währenddessen am Licht- und Tonpult. Und beide zeigen sich im Anschluss beeindruckt und stolz, wie gut die Schüler:innen diese Situation unter Druck gemeistert haben. Das Publikum nämlich hat davon nichts gemerkt, es kommt erst in der anschliessenden Feedback-Runde zur Sprache.

Zentrales Thema des Stücks ist passenderweise der Zusammenhalt in der Gruppe, aufgezeigt mitunter durch das gespielte Mobben einer Mitschülerin. In einer berührenden Szene wird sie am Ende des Stücks durch Stimmen in ihrem Innern, dargestellt von einzelnen Mitspieler:innen, die hervortreten und ihr ins Ohr flüstern, an ihre eigenen Stärken erinnert. Sie beginnt zu tanzen, beeindruckt damit auch diejenigen, welche sie zuvor noch mit gemeinen Sprüchen ausgeschlossen hatten. Diese beginnen ihr Verhalten zu reflektieren und zu überdenken. Der fiktiven Schulklasse im Stück wird klar: Den Orientierungslauf und den Weg zurück in die wirkliche Welt schaffen sie nur gemeinsam.

Die Zuschauer:innen folgen der Geschichte und dem Geschehen auf der Bühne; zugewandt, ruhig und aufmerksam. Dann sind die 30 Minuten vorbei, das Publikum applaudiert, Stefan Ryffel zeigt ein «Daumen hoch». Während die jungen Schauspieler:innen vorne an der Bühne auf dem Boden sitzen und dabei verlegener scheinen als beim Theaterspielen kurz zuvor, sammelt Petra Cambrosio Stimmen aus dem Publikum. Die zuschauenden Schüler:innen äussern sich anerkennend, nennen die verschiedenen eingesetzten Stilmittel, das deutliche und laute Sprechen, die witzigen Momente, der relevante Inhalt. Kurzum: ein positives und anerkennendes Feedback.

Und den Spielenden selbst? Wie geht es ihnen nach und mit ihrem Auftritt? Sie sitzen entspannt draussen vor dem Theater, essen ihren Znüni und reden über dies und jenes, kaum aber über ihren soeben mit Bravour geleisteten Auftritt. Eine beeindruckende Selbstverständlichkeit des soeben Erlebten liegt in der Luft. Auf Nachfrage äussern sie sich zufrieden, es habe sich gut angefühlt und ja, mal mit richtigem Theaterlicht zu spielen sei schon cool gewesen. Und da ist er dann doch: der sichtbare Stolz auf den Gesichtern. Genau diesen Gesichtsausdruck wird er mitunter gemeint haben, wenn Stefan Ryffel, der bereits zum fünften Mal mit einer Klasse an den Schultheatertagen Ostschweiz teilnimmt, sagt: «Deswegen mache ich es immer wieder».

3. Akt, Szene 2: Du hast das Leben in der Hand
13. Mai 2024, St.Gallen. Drei unterschiedliche Stücke wurden im grossen Theatersaal der Lokremise bereits gezeigt, die Oberstufen-Klasse von Judith Tobler aus St.Gallen macht den Abschluss dieses Theatertages.

Kurz vor ihrem Aufritt geht Schauspielerin Diana Dengler, welche den Probeprozess begleitet hatte, mit den Schüler:innen alle Positionen und Bewegungen des Stückes einmal durch: «Spürt ihr, wo die Leute sitzen?». Sie bestimmt Chefinnen und Chefs für jede Szene, welche ihre Mitschüler:innen falls nötig an ihre Positionen erinnern sollen, damit niemand zu weit hinten steht. Und auch die noch fehlende Leiter müssen sie selber nach vorne holen. Es wird klar: die Schülerinnen und Schüler sind mitverantwortlich für ihren Auftritt und dessen Erfolg.

Es ist eine neue und vielleicht einmalige Erfahrung für sie. Sich selbst wortwörtlich ins rechte Licht rücken, den Raum einnehmen, laut und deutlich sagen, was sie zu sagen haben, im Mittelpunkt stehen, ihre eigens erdachte Geschichte spielen… und bei alldem konzentriert bleiben. Für diese Jugendlichen ist all das eine Herausforderung. Und es erfordert Mut. Sie sind hibbelig, tuscheln, kichern, boxen sich gegenseitig, klopfen Sprüche – Lehrerin Judith Tobler kämpft um die Aufmerksamkeit kurz vor Auftrittsbeginn. Je grösser die Herausforderung, umso grösser der mögliche Erfolg, ist der hoffnungsvolle Gedanke, als das Publikum seinen Platz auf der grossen Tribüne einnimmt.

Ermutigung und Bestärkung sind die Schlagworte, welche Bettina Schneider Weder an die Zuschauer:innen richtet und mit Aufwärmübungen zu Aufmerksamkeit und Konzentration animiert. Und dann geht es los, der Auftritt vor grossem Publikum, für den die Schulklasse mit ihrer Lehrerin und begleitet von Diana Dengler viel geprobt, gearbeitet und auch geschwitzt haben. Unsicherheit waren auf den Proben (hier gibt es einen Einblick) sicht- und spürbar und nicht ganz ist sie verschwunden. Doch die vielen, bewusst eingesetzten und abwechslungsreichen Theaterstilmittel wie Freeze, Wiederholungen, Zeitlupe schaffen beeindruckende szenische Bilder. Und sie ermöglichen allen Spielenden – ob versiert im Sprechen und Spielen vor Publikum oder nicht – die Chance auf eine gute Aufführung.

Wann ist das Leben ein ab und wann ein auf? Es sind wichtige Szenen, welche die Jugendlichen zeigen, relevante Themen, die aus ihrem eigenen (Er-)Leben gegriffen sind. Gruppendruck, Angst zu versagen, Konflikte in der Familie. Es wird deutlich: all das hat mit ihnen zu tun. Sie zeigen Probleme, ebenso wie mögliche Lösungen, die Leiter ist dabei mal Brücke, mal Bahre, dann ein Tisch im Casino. Wenige Requisiten sind aus Pappe hergestellt, die langen Fingernägel aus Karton einer Figur entlocken dem Publikum ein Lachen.

Während der gesamten Dauer des Stückes sind alle Spielenden fortwährend auf der Bühne und sichtbar. Wenn nicht an der jeweils gezeigten Szene beteiligt als «Chor» im Hintergrund. Dieser kommentiert, mit Gesten, Mimik und auch mit Gesang. Am Schluss tragen sie alle gemeinsam die Leiter und singen «We are the champions». Im Hinblick auf die verschiedenen Herausforderungen dieser Schüler:innen und Schüler sind sie das in diesem Moment fürwahr.

Als Teenie vor anderen Jugendlichen zu spielen, sich zu zeigen – das ist nicht leicht. Feedback wird auf eine ganz fein austarierte Waagschale gelegt, Fragen wie «Wie war ich?» und «Wie fanden es die anderen?» schweben unausgesprochen über den Köpfen. Und sie haben ihre Wirkung. Wild durcheinander und mit grosser Lautstärke verhandelt und verarbeitet die Schulklasse anschliessend im Foyer ihren Auftritt. Die grossen Emotionen sind fast greifbar. Umso wichtiger die Bestätigung, die Bestärkung, das Lob; durch einzelne Zuschauer:innen, durch Diana Dengler, von ihrer Lehrerin. Diese freut sich, dass ihre Schüler:innen zusammenhalten und einander helfen, wenn es ernst gilt, wie gerade auf der Bühne erlebt und gesehen. Und doch wollen diese dem Erfolg ihrer Darbietung nicht so ganz glauben, wiederholen alles, was nicht geklappt hat, was hätte besser laufen können. Dass der langfristige Nachhall ein positiver ist, sie stolz auf ihre Leistung sein können und dieses Erlebnis als ein erfolgreiches in ihre Erinnerung Eingang findet – es ist ihnen sehr zu wünschen.

«Das Leben ist so vieles. Probier es aus, mach was draus.» Dieser Satz aus und gleichzeitig Message des Stückes gilt nicht nur für den eigenen Lebensweg dieser Jugendlichen, sondern auch für ihr Mitwirken an den 10. Schultheatertagen Ostschweiz, welche ebensolche wertvollen Erfahrungen überhaupt möglich machen. Und sie haben etwas daraus gemacht, die Schülerinnen und Schüler. Applaus!

 

Wer Lust hat, selbst mit einer Schulklasse teilzunehmen: Bis zum 22. September 2024 kann man sich für die Teilnahme an den elften Schultheatertagen Ostschweiz anmelden. Hier geht's zu detaillierten Infos und zur Anmeldung.