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Scheinwerfer auf die zehnten Schultheatertage Ostschweiz: 1. Akt

Scheinwerfer auf die zehnten Schultheatertage Ostschweiz: 1. Akt

17.01.2024 - Aktuell

Kauderwelsch füllt den grossen Saal der Lokremise St.Gallen. In zwei Kreisen aufgestellt, jeweils in Paaren einander gegenüber, stehen die teilnehmenden Lehrpersonen und Theaterschaffenden der diesjährigen Schultheatertage Ostschweiz. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, ein aus Zeitungspapier geformtes Objekt zwischen sich, unterhalten sie sich angeregt über ebendieses. Jedoch nicht mit Sprache, kommuniziert wird lediglich mit unterschiedlichen Tönen. Und schliesslich in der Mitte des Saals: eine Leiter. Ein eigenartiges Bild für wer da zuschauen würde. Vom Auftritt vor Publikum sind die Lehrerinnen und Lehrer aber noch viele Wochen entfernt. Und es werden nicht sie sein, die auf der Bühne stehen, sondern ihre Schülerinnen und Schüler.

An diesem Dienstagabend im Januar starten die zehnten Schultheatertage Ostschweiz in ihr Jubeljahr, in der grossen Runde und mit viel Theaterfreuden. Seit Beginn des Projekts haben bereits 205 Schulklassen aus den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, St.Gallen und Thurgau teilgenommen, über 500 Schüler:innen kommen dieses Jahr dazu. Deren Lehrpersonen haben sich zu einem Einführungsworkshop in der Lokremise zusammengefunden. Angeleitet von Petra Cambrosio vom Theater Bilitz und Bettina Schneider Weder von der Fachstelle Theater der Pädagogischen Hochschule St.Gallen lernen sie erste Übungen und Theaterspiele, die sie im Laufe der nächsten Wochen in die Proben einbinden und für die Stoffentwicklung nutzen können. Aktiv mit dabei an dem Abend sind die begleitenden Theaterpädagog:innen. Als Vertreter von Konzert und Theater St.Gallen, dem dritten Kooperationspartners, hält Mario Franchi alle wichtigen Informationen und Projektdetails bereit. Dazu aber später.

Theater – aber wie?
An den Schultheatertagen entwickeln Schulklassen eigene Theaterstücke. Auf drei verschiedenen Bühnen der Region spielen sie sich diese im Frühling gegenseitig vor, ganz nach dem Motto «Wer spielt schaut zu, wer zuschaut spielt». Und sie kommen in den Austausch mit Theaterfachleuten. Diese Begleitung für Lehrperson und Schulklasse gleichermassen ist Essenz des Projekts. Zehn Lektionen theaterpädagogischer Unterstützung stehen den Lehrpersonen im Prozess zur Verfügung. Dass die Begleitung damit über den gesamten Zeitraum betrachtet eher punktuell ausfällt – auch im Vergleich zu anderen Schultheatertagen in der Schweiz – ist eine bewusste Entscheidung der Projektleiter:innen. Das Stück, welches am Ende des Prozesses entsteht, soll nämlich das der Klasse und der Lehrperson sein. Nicht ein Stück der Theaterpädagog:innen. Diese bringen nicht nur einen professionellen, sondern auch einen frischen Blick von aussen mit, der für die Probearbeit in der Klasse wichtige Impulse geben kann.

Vor allem aber beraten und unterstützen sie die Lehrpersonen. Mit der Teilnahme an den Schultheatertagen sollen diese befähigt werden, zukünftig Theaterprojekte auch selbstständig mit den Schülerinnen und Schülern zu realisieren. Die Frage «Aber wie mache ich das?» kann verunsichern und davon abhalten. Angeleitet von Fachpersonen und mit einem klaren (Spiel-)Rahmen werden Unsicherheiten und daraus entstehende Hemmungen abgebaut. Und so spielt der Einführungsworkshop als Start in den Prozess eine zentrale Rolle. An diesem lernen die Teilnehmenden ästhetische Gestaltungsmittel und Hilfsmittel für die Stoffentwicklung kennen, dazu gibt’s ein Handout und viele weiterführende Unterlagen mit Tipps und Tricks. Ausserdem erfahren die Lehrpersonen auf spielerische Art und Weise am eigenen Leib, wie die Theaterarbeit mit der Schulklasse aussehen könnte.

«Lasst uns spielen»
Mehrere Lehrpersonen sind zum ersten Mal dabei, haben überhaupt wenig Erfahrung mit Theater. Und sind bei den Schultheatertagen damit bestens aufgehoben. Als sich zu Beginn Unsicherheiten in «Fehlern» zeigen – da schwingt ein Arm rechts rum, statt links, ein Ton wird in die falsche Richtung geschickt – thematisiert Petra Cambrosio dies mit der ganzen Runde. Im Theater scheitern? Geht das überhaupt? Und wenn, ja, wie gehen wir damit um? Bald ist die Stimmung locker, Gelächter füllt den Raum, genauso wie wiederholter Applaus nach den Übungen. Applaus von allen für alle, ganz nach dem Prinzip: Wir sind eine Gruppe und als solche gemeinsam verantwortlich für das, was entstehen kann. Auch das eine Praxis, welche die Lehrpersonen in die Arbeit mit den Schulklassen mitnehmen sollen, rät die Projektleitung.

Mit allen Übungen erleben die Lehrpersonen wichtige Grundsätze, die sie für die Theaterarbeit mit der Klasse nutzen können. Annehmen und weiterdenken beispielsweise, oder wie Zug um Zug gemeinsam etwas aufgebaut werden kann. Und sie bekommen vermittelt, wie die Spielfreude immer wieder geweckt werden kann, besonders dann, wenn’s im Probeprozess mal harzig wird. Ein Moment, der sich zwangsläufig einstellen wird – auch darauf werden die Lehrpersonen vorbereitet. Wenn festgelegte Szenen wiederholt geprobt werden sollen und müssen, spätestens dann kann sich Theater wie Arbeit anfühlen.

Vor allem aber bieten die Theaterspiele und -übungen einen Einstieg in die Theaterarbeit und Entwicklung des Stückes und dem Stoff dazu. Bei der simplen Übung, in unterschiedlichen Tempi oder Haltungen durch den Raum zu gehen, zeigt sich, wie schnell eine Vielfalt von Figuren durch Varianten von Bewegung entstehen kann. Ein alter Mann mit krummem Rücken, eine kaugummikauende Fünfjährige, ja sogar ein menschlicher Staubsauger. Bei den Improvisationen immer wieder im Zentrum: die Leiter.

Die Leiter als Heckenschere
Um der Überforderung durch unendlich viele Möglichkeiten bei der Entwicklung des eigenen Theaterstückes entgegenzuwirken, geben die Schultheatertage Ostschweiz jeweils ein übergeordnetes Thema für alle vor. In dieser zehnten Durchführung ist es «abundauf». Vorgegeben ist auch ein Gegenstand, den alle in ihr Stück einbauen müssen: die Leiter. Damit soll ein Rahmen abgesteckt werden, der nicht auf Einschränkung als solches abzielt, sondern den kreativen Umgang mit vorhandenen Mitteln fördern soll. Eine Leiter kann nämlich auch ganz viel anderes sein. Eine Heckenschere beispielsweise, oder ein offenes Buch.

Die Projektverantwortlichen wiederholen mehrfach die Wichtigkeit, die Leiter von Anfang an ins Projekt, ins Spiel und in die Proben einzubauen. Tipps gibt es auch zu möglichen Requisiten. Diese müssten nicht immer realistisch sein. Warum nicht alles aus Packpapier herstellen? Und auch bei den Kostümen gilt: Weniger ist manchmal mehr. Die Lehrpersonen sollen sich bei beidem fragen: Wo braucht es sie wirklich? Aber auch: Wann hilft’s? Gerade für schüchterne Schüler:innen kann ein Requisit in der Hand beim Auftritt eine dankbare Unterstützung sein. Und dieser wird kommen, wenngleich erst im Mai.

Wirkung übers Projekt hinaus
Die Schultheatertage wollen das Kulturgut «Schultheater» in den Fokus rücken. Theaterpädagogik vermittelt aber nicht nur die Kunst des Theaters und bringt diese auf lustvolle und spielerische Art und Weise näher, sie beinhaltet neben künstlerischen auch pädagogische Aspekte. Wie sich eine Teilnahme positiv auf die – manchmal festgefahrene – Klassendynamik auswirken kann, davon erzählen Lehrpersonen, welche bereits einmal mit einer Schulklasse Teil der Ostschweizer Schultheatertagen waren. Das Rollenspiel in der Theaterarbeit kann nämlich Rangordnungen durcheinanderbringen und aufbrechen, von persönlicher Entwicklung und mehr Selbstbewusstsein bei den Lernenden wird berichtet.       

Auch dieser Aspekt unterstreicht die nachhaltige Wirkung des Projekts. Und steht für seinen Erfolg. Seit der Lancierung 2014 und ersten Durchführung im Jahr 2015 musste am Konzept denn auch nur wenig verändert oder angepasst werden. Es «verhebet», resümieren die Verantwortlichen, welche teilweise seit Beginn dabei sind. Und auch unter den begleitenden Theaterpädagog:innen sind viele schon zum x-ten Mal Teil des Projekts. Barbara Bucher ist eine davon. Sie hat von Anfang an bei den Schultheatertagen Ostschweiz mitgewirkt und ist nach wie vor begeistert. Alle «ihre» Lehrpersonen, haben im Nachhinein eigenen Theater-projekte realisiert, zu welchen sie immer wieder Einladungen erhält.

Abschluss auf der grossen Bühne
Eingeladen sind auch die teilnehmenden Schulklassen: zur Abschlussvorstellung. Jedoch nicht nur der eigenen, sondern sie werden sich jeweils auch drei Stücke anderer Schulklassen anschauen. Gemeinsam wird dann im Anschluss – wiederum mit theaterpädagogischer Begleitung – über das Gesehene diskutiert. Und auch für diesen Tag im Theater als krönender Abschluss gibt die Leitung der Schultheatertage Ostschweiz den Lehrpersonen organisatorisch Tipps an die Hand. Und empfiehlt augenzwinkernd die Schulleitung als notwendige Begleitperson.

Die Vorbereitung auf den Auftritt vor Publikum und das darauffolgende Feedback, das hält Diana Dengler, welche bereits zum neunten Mal eine Schulklasse begleiten wird, für ebenso wichtig, wie die Probearbeit. Denn spätestens bei einer Vorstellung wird auch das Theater ein Bewertungsraum – wenngleich in diesem Rahmen ein wohlwollender. Und genau darauf können die Schüler:innen vorbereitet werden. Wie das geschehen kann, wird der Einblick in die Entwicklungs- und Probearbeit der Schulklassen zeigen. Davon wird ein nächster Beitrag zu den zehnten Schultheatertagen Ostschweiz auf kklick.ch berichten.